Das Wesen der Mehrstimmigkeit

zu Johann Sebastian Bach: Doppelkonzert für 2 Violinen, 3. Satz Allegro

Öl auf Leinwand, Keramikapplikationen, Kupfertinktur

100 x 80 cm

In Privatbesitz

 

ALPENLÄNDISCHE POLYPHONIE

 

Zu viele Fremdeinflüsse,

zu viele Stimmen, Kulturen, Sprachen und Meinungen,

rumort die xenophobische Schimäre der Politik.

Das Land könne diese Vielfalt nicht ertragen.

Die nationale Identität sei ernsthaft in Gefahr.

 

Es geht hier um jene Märcheninsel der Seligen,

die man in aller Welt vor allem für ihre kulturelle Tradition rühmt.

 

Die Wahlösterreicher Beethoven und Brahms,

Wolfgang Amadeus Mozart aus dem

damals nicht zu Österreich gehörenden Salzburg,

der Böhme Gustav Mahler, die Ungarn Polgar und Molnar,

der Kroate Ödön von Horvath, der Bulgare Elias Canetti, der Tscheche Franz Kaffka - all diese ‚Fremden’ und so viele andere

für immer in der Welt- und Kulturgeschichte Verwurzelte

prägen bis heute die österreichische Identität.

 

Sie alle brachten ihre Weltanschauungen mit sich

und die aus allen Ecken und Enden der Welt genährte,

abenteuerlich duftende Mischkulanz

ihrer ererbten Kultur.

 

Auch die hochgeschätzten Musentempel dieses Landes,

seien es die mit internationalen

Köstlichkeiten vollgestopften Museen,

die Theater-, Konzert- und Opernbühnen,

oder die türkischstämmigen Kaffeehäuser mit ihren halbmondigen Kipferl

und turbanigen Gugelhupfen

- alle atmen sie das urösterreichische Prinzip ‚kultureller Melange’.

 

Der ‚Schmelztiegel Österreich’ ist in Wahrheit

die Quelle dieser facettenreichen Kultur.

 

Angesichts deren Zeitlosigkeit: Welche Bedeutung bleibt

den fremdenfeindlichen Schreihälsen der österreichischen Innenpolitik,

die sich letztlich im dicken Fell der Weltgeschichte verlieren werden

wie lästige Flöhe?

 

Wo und wann endet die jahrhundertelange Evolution einer Kulurtradition? Wer und was gefährdet sie wirklich?

 

Zivilisation beginnt wohl dort,

wo Menschen das Land, das sie zu besitzen glaubten,

mit der respektvollen Demut eines Gastes zu betrachten lernen

und somit ihren Gästen beweisen,

dass ihre Kultur in Wahrheit

eine solche ist.

 

Denn wo auch immer unser Gastrecht letztlich enden mag -

in der Abschiebung oder am Wiener Zentralfriedhof -,

Gäste bleiben wir alle.

 

© Marc Andeya-Trefny